Es war kein leichter Weg nach meinem Unfall (siehe Teil 1) wieder Vertrauen in die Pferde und vor allem in mich selbst zu finden. Das entscheidende war die Desensibilisierung. Ähnlich wie ich ein Pferd, das vor einem Gegenstand Angst hat, mit Konfrontation und positiver Erfahrungsbestärkung trainieren würde, trainierte ich mich selbst. In sämtlichen Projekten, ob privat oder in der Uni, thematisierte ich das "Pferd" und setze mich mit ihm auseinander. Neben der Uni las ich in den letzten Jahren über 29 Fachliteraturen rund ums Pferd, schaute ein Webinar nach dem anderen und trainierte mit den Pferden die verrücktesten Tricks. Stück für Stück kamen wir unserem eigentlichen Ziel uns für Film und Shows vorzubereiten näher. Meine Angst wurde immer weniger und gemeinsam meisterten die Pferde und ich eine Herausforderung nach der anderen. Ich ritt Nepomuk weiter ein und absolvierte mit ihm seine Grundausbildung am Boden und im Sattel. Es wurde Zeit, einen ersten Showact zu starten. Gesagt, getan. Wir trainierten das Bogenschießen zu Pferd, das Hälseschlagen, das Lanzenreiten und den Fahnenritt. Mit meinem Vater baute ich mittelalterliche Kulissen. Wir waren voller Tatendrang und der Frühling im Mai 2017 zeigte sich in seiner wundervollen Pracht. Endlich schien für uns die Sonne wieder zu scheinen und ließ für mich ein Stück weit die täglichen Schmerzen vergessen. Ich war endlich wieder glücklich und fühlte mich Angst frei.
Eines Frühlingsmorgens fuhr ich mit meiner Mama zu den Pferden auf die Koppel. Nepomuk stand im Paddock, das rechte Bein mit der Hufspitze aufgestellt. Als er mir entgegenkam, ging er stocklahm. An seinem rechten Knie klaffte eine blutige Platzwunde. Wir holten sofort den Tierarzt. Er begutachtete die Wunde und erklärte uns, dass wir wohl noch mal Glück gehabt hätten. Die Verletzung sähe zwar schlimm aus, aber wenn es gebrochen wäre, wäre das Bein nicht so beweglich und Nepomuk würde auf drei Beinen stehen und keinen Schritt freiwillig machen. Wir vertrauten auf die Diagnose und ersparten Nepomuk eine Fahrt in die Klinik und separierten ihn, sodass er ein paar Wochen stillstehen musste - etwas, das ihm gar nicht gefiel.
Nach etwa einem Monat Schonung schien Nepomuk wieder über dem Berg zu sein. Er lief dem Anschein nach lahmfrei und auch vom Tierarzt bekamen wir das Go Nepomuk wieder aufzutrainieren. Erstaunlicherweise hatte Nepomuk rein gar nichts von dem zuvor Erlernten vergessen und wir konnten uns ganz auf den Muskelaufbau und die Gymnastizierung konzentrieren.
Im Juni bereiteten wir uns erneut auf unser Showact-Projekt vor - ein Filmdreh zum Thema "Emanzipation" aus dem schließlich unser Showreel entstanden ist.
Nepomuk machte seine Sache grandios. Drei Drehtage begleitete uns ein Zweimann-Kamerateam (Suedstadt-Viskom und Mario Strahl) auf unserem Reitplatz bei spektakulären Reitszenen und mittelalterlichen Wettkampfdisziplinen. Ich ging diese Tage stark an mein Schmerzlimit, aber biss die Zähne zusammen und zog die Sache durch. Das Ergebnis war beeindruckend und ich war überglücklich und stolz auf meinen damals 5-jährigen Nepomuk.
Doch nach diesem Höhenflug der Gefühle ging es erneut bergab. Diesmal mit Nepomuks Gesundheit. Wenige Wochen nach den Dreharbeiten lief Nepomuk weniger motiviert. Er verweigerte den Galopp. Alle anderen Gangarten gingen wunderbar. Doch er wollte partout nicht mehr angaloppieren. Wir ließen ihn von einer Chiropraktikerin und Tierärztin untersuchen, prüften, ob der Sattel noch passte. Wir konnten uns nicht erklären, warum Nepomuk den Galopp unter dem Reiter verweigerte. Ich weiß noch, wie dann am 11. September plötzlich gar nichts mehr ging. Er wollte auch nicht mehr unter einem Reiter traben, während er frei die wildesten Kapriolen zeigte, sich genüsslich wälzte und er gesund und munter schien. Von Tag zu Tag ging es jedoch weiter bergab. Schließlich ließ er sich auch an der Longe nicht mehr angaloppieren. Er sprang an, riss den Kopf hoch und fiel direkt wieder aus. Beim Vortraben hörte ich von allen Fachseiten, Nepomuk läuft einwandfrei. Was war nur los mit Nepomuk? Oder war ich es etwa, die plötzlich etwas so gravierend falsch machte? Ich schaute abermals alle Videoaufnahmen der letzten Wochen, die ich von Nepomuk gemacht hatte durch. Ich konnte keine aktive Lahmheit erkennen. Schließlich filmte ich ihn erneut, wie er an der Longe lief und spielte die Aufnahme in Zeitlupe ab. Tatsächlich sah man kaum merklich, wie Nepomuk sich beim Laufen bemühte, hinten rechts deutlich weniger Gewicht aufzunehmen. Irgendetwas stimmte also hinten rechts nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass Nepomuk im Mai eine offene klaffende Wunde hatte, fiel natürlich sofort der Gedanke dahin, dass es sich um das Knie handeln könnte. Wir ließen aus der Klinik einen sogenannten "Spezialisten" kommen. Leider kein wirklich sympathischer Herr, aber solange er sein Fach verstand, war mir dies erst mal egal. Auch er sah nur einen geringen verkürzten Tritt und tippte eher auf ein Rücken- oder Sattelproblem. Um endlich einen Aufschluss zu bekommen, fuhren wir in die Klinik.
Dort angekommen zeigte ich dem Tierarzt die Zeitlupenaufnahme und erklärte meine Vermutung mit dem Knie. Nepomuk sollte noch mal auf hartem Boden vortraben. Dabei meinte der Tierarzt noch, bei den Gängen könnte man ihn gut verkaufen. Nepomuk lief top. Schließlich schickte er uns in die Halle. Nepomuk war unglaublich nervös, immerhin hatte er noch nie in seinem Leben eine Halle betreten. Dort sollte ich Nepomuk an der Longe in dem tiefen Boden im Galopp zügig umherschicken. Das war überhaupt kein Problem, so nervös Nepomuk war. Im Anschluss lief er nun sichtlich lahm, so katastrophal, dass jeder Leihe gesehen hätte, dass das Pferd Schmerzen hat. Im Anschluss ging es ans Röntgen. Warum der Tierarzt trotzdem zunächst den Rücken röntgte, dann das linke Knie und erst zum Schluss das rechte ist mir schleierhaft...(naja... er musste es ja nicht bezahlen). Nach dem Röntgen verkündete der Tierarzt mir, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht.
Anstatt mir direkt zu erzählen, was los war, kam natürlich die Frage noch "Welche wollen Sie zu erst hören?". Ich war so perplex, dass ich keine Antwort darauf wusste. Die gute Nachricht war, der Rücken und das linke Knie seien in Ordnung. Die schlechte Nachricht war, das rechte Knie sei gebrochen. Für mich brach die Welt zusammen. Ich wusste, was man sagte, ein Beinbruch sei häufig das Todesurteil für ein Pferd. Die Prognose des Tierarztes war, dass Nepomuk wahrscheinlich nie wieder geritten werden könnte, keine Biegungen gehen könne und sein Gnadenbrot bekommen sollte. Ein fünfjähriges Gnadenbrotpferd, das wollte nicht in meinen Kopf. Ich muss dem Tierarzt zu gute heißen, dass er uns von einer OP abriet und meinte, wir sollen Nepomuk einfach Zeit geben. Er sollte nun erst einmal Boxenruhe halten, damit der Bruch zur Ruhe käme. Das Problem war, dass Nepomuk Boxenhaltung nicht kannte und bereits in der Klinik begann, mit aller Wucht gegen die Betonwände zu treten - mit seinem kaputten Knie!!! Sosehr ich ihn versuchte über unsere Zirkustricks bei Laune zu halten - es half nichts.
Schließlich holten wir ihn nach Hause und zäunten ihm vor dem Weideunterstand einen winzigen Paddock ab. Sodass er etwas mehr Platz, als die 3x3m hatte und an der frischen Luft stehen konnte. Nach sieben Wochen und einer horrorreifen, böllerreichen Silvesternacht, in dem mein Pferd vor Angst beinahe alle Zäune niedergemäht hatte, samt Frauchen, dass versuchte sich ihm in den Weg zu stellen und ihn zu beruhigen, entschieden wir, ihn langsam wieder aus der "Boxenhaltung" herauszuholen. Durch den Frust der Boxenhaltung hatte Nepomuk sich das Beißen angewöhnt, ließ sich kaum führen, riss sich mit aller Gewalt los, drohte zu treten, stieg in die Höhe und wehrte sich gegen alles, was ihn einschränken wollte. Daher verteilte ich auf dem großen Paddock Brotkrümelchen, Äpfel- und Möhrenstückchen und ließ Nepomuk auf den Paddock minuten-, später stundenweise, raus. Nepomuk, eins der verfressensten Ponys, die ich kenne, sammelte im Schritt alle Leckereien auf und blieb somit einigermaßen kontrollierbar. So steigerten wir seinen Auslauf, bis ich schließlich mit einem Join-Up wieder anfangen konnte, mit ihm zu arbeiten - ohne mich selbst zu sehr zu gefährden.
Fakt war, Nepomuk hatte wohl nun schon seit Mai einen Kniebruch (mancher sagt Scheinbeinbruch). Was sollte damit nun in der Ruhephase passieren? Ich hoffte darauf, dass er verknöchern würde, musste aber erst mal akzeptieren, dass Nepomuk jetzt ein Weidepferd war.
Der Anblick meines kleinen Wildfangs, wie er sportlich über die Weide jagte, war immer von den Gedanken begleitet "Ohje... hoffentlich schadet er sich nicht" und "Au fein, er läuft so schön und sieht so munter und gesund aus".
Das Problem war nur, dass Nepomuk von klein an sehr gefördert wurde und ich ihm viele Tricks beigebracht hatte. Auch wenn sein Körper sich schonen musste, verstand seine Psyche nicht, warum er nun nicht mehr trainiert wurde. Er wollte arbeiten und ließ sich immer mehr Flausen einfallen. Ich musste einen Weg finden, ihn sowohl geistig als auch körperlich auszulasten, ohne ihn zu sehr zu beanspruchen und sein rechtes Hinterbein zu belasten. Es begann über die nächsten zwei Jahre ein Balanceakt sämtlicher gymnastischer Übungen und Zirkustricks, um Nepomuks Leben lebenswert und interessant zu gestalten. Ich spürte, wie sehr er durch seine Arbeit aufblühte. Ich habe wirklich noch nie so ein arbeitsfreudiges, motiviertes Pferd erlebt wie ihn.
Während wir gemeinsam die verschiedensten Bodenarbeiten und Freiarbeiten umsetzten, bemerkten wir, dass es Nepomuk, begleitet von sämtlichen Therapieformen, immer besser ging. Wir steigerten wieder sein Training und seit einem Jahr sitze ich ab und an wieder auf seinem Rücken. Es dauerte eine Weile, bis die Blockade in unseren beiden Köpfen gelöst war und wir wieder wild und ungestüm unsere Hangweide hinaufjagen konnten.
Wer hätte das gedacht? Nepomuk mein kleines großes Wunderpferd!!!
Wieso Nepomuk nach seiner Trittverletzung sich seine Schmerzen nicht anmerken ließ und motiviert an der Arbeit teilnahm, kann ich mir nur dadurch erklären, dass er immer motiviert und mit Freude am Training dabei ist. Außerdem vermute ich, dass er gespürt hat, wie sehr ich meine Schmerzen versuchte zu unterdrücken und trotz ihnen mit ihm trainierte. Wie oft hört man "die Pferde sind unser Spiegelbild". Nepomuk forderte gleichermaßen von sich durchzuhalten, wie ich es von mir forderte. Mir wurde dabei bewusst, wie viel Verantwortung wir Reiter und Pferdebesitzer tragen, nicht nur für unser Pferd, sondern auch für unsere eigene Gesundheit, da die Pferde all unsere Unzulänglichkeiten und Einschränkungen geistig und körperlich kompensieren.
Langsam trainieren wir uns gemeinsam wieder auf. Unser Hauptthema ist die Gymnastizierung und der gesunde Muskelaufbau. Wie weit wir kommen, das steht in den Sternen, aber unser Ziel ist nur noch gesund zu werden. Aktuell warten wir auf Nepomuks neuen Sattel, mit dem wir im Frühjahr hoffen, durchstarten zu können. Leider hatte ich im November letzten Jahres noch einmal eine Zahnoperation - dabei hat man eine heftige Entzündung gefunden, die ich seit Jahren mit mir herumtrage. Sie wurde entfernt, aber dabei scheinbar die Büchse der Pandora geöffnet. Im Moment komme ich körperlich bereits an meine Grenzen, wenn ich Nepomuk 30 Minuten longiere. Der Kiefer pulsiert wie ein Pulverfass kurz vor dem großen Boom.
Aber Nepomuk und ich, wir geben nicht auf und kämpfen weiter gemeinsam für unsere Gesundheit und unser gemeinsames Glück - selbstverständlich stets mit der Achtsamkeit, welche Verantwortung wir für einander tragen.
Egal, wie schlecht es mir geht, sobald ich bei meinem Nepomuk bin, ist alles halb so wild, denn das größte Glück der Erde, ist der Rücken der Pferde - aber auch einfach ihre Nähe, ob im Sattel oder am Boden.
Durch all diese Schicksalsschläge habe ich mir sehr viel Wissen und eine hohe Achtsamkeit für Pferde angeeignet. Ich habe mit Nepomuk viele Therapieansätze ausprobiert und unterschiedlichste Trainingsansätze betrachtet. In meinem Blog in der Kategorie "Pferdestärken" möchte ich euch an genau diesen Themen und dem Wissen teilhaben lassen. Hier geht es darum, unsere Pferde zu stärken - sowohl geistig als auch körperlich. Es geht aber auch darum uns selbst zu stärken, denn nur so können wir positiv auf unser Pferd einwirken.
Euch allen wünsche ich eine pferdestarke Zeit!
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