In meinem heutigen Blogeintrag möchte ich von meiner Arbeit als Aufnahmeleiterin berichten und darüber, was in meinen Augen dazu gehört diesen Job souverän umzusetzen.
Schon kurz nach dem Abitur bot sich mir die Möglichkeit in der Serienproduktion vom ZDF "Der Staatsanwalt" ein Praktikum in der Set-Aufnahmeleitung zu absolvieren. Ein Praktikum, das mir unglaublich viel über die Aufnahmeleitung und alle anderen Departements lehrte. Ich hatte einen coolen Chef (Setaufnahmeleiter), tolle Kollegen in diesem Departement, sodass sich ein gutes Team zusammen fand. Ein Aufnahmeleitungsteam inklusive Fahrer, Set-Runner und Absperrer sind meines Erachtens unverzichtbar, um die Mission "die Produktion am Laufen zu halten" erfolgreich gemeinsam zu meistern.
Denn wenn etwas innerhalb der Produktion fehlt und gebraucht wird, ist die Aufnahmeleitung der erste Ansprechpartner. Das ist auch gut so, denn so haben alle anderen Abteilungen die Möglichkeit sich vollends auf ihre Arbeit zu fokussieren. Ansprechpartner-Nummer-Eins zu sein, ist nicht selten ein recht undankbarer Job, denn die meiste Zeit geht es darum, für Probleme Lösungen zu finden - im besten Fall schnell und effektiv - denn Zeit ist Geld. Jede Minute frisst Produktionsbudget.
Aufnahmeleitung - die Produktions-Mami
Man könnte jetzt meinen, der Aufnahmeleiter ist ein Posten der Reaktion. Er reagiert auf Aufträge anderer Departements und ist zur Stelle, wo eine Lösung, eine Fahrtenorganisation, ein Einkauf, eine Produktionsabsprache getroffen werden muss. Das ist aber nur die eine Seite der Goldmünze. Denn der Aufnahmeleiter ist auch aktiv und Impulsgeber für andere Abteilungen. Er ist Ansprechpartner für das jeweilige Motiv und steht im Dialog mit den Besitzern oder Organisationen. Er sorgt dafür, dass jeder am richtigen Ort ist, hat einen Überblick, wo sich welche Abteilung am Set befinden. Wer gerade auf der 17 ist ;-) (Ein diskreter Funk interner Ausdruck für einen Toilettengang). Er sorgt dafür, dass die Schauspieler rechtzeitig in der Maske und am Set sind. In manchen Fällen organisiert er das Catering, sollte dieses Departement nicht gesondert besetzt sein und ist verantwortlich für die sogenannte Basis. Der Ort wo sich alle stärken können, wo alles für das leibliche Wohl, die Gesundheit und Sicherheit bereitsteht. Von Erste-Hilfe-Paket und Feuerlöscher bis hin zu Sicherheitsweste, Klopapier und Schokoriegel. Man könnte sagen, der Aufnahmeleiter ist so etwas wie die Set-Mami oder der Set-Papi.
Spätestens bei der Sweetie-Runde wird dieser Titel zum Programm. Nach dem Mittagessen macht er oder einer der Praktikanten eine Runde und verteilt an das Team Süßigkeiten und Snacks, zumindest dann, wenn die Basis nicht in nächster Nähe ist. So undankbar dieser Job auch erscheint, ist das eigentlich das Beste daran. Nicht nur, dass man uneingeschränkten Zugang zu Süßigkeiten hat und die Macht der Einkaufsliste, sondern vielmehr ist es der kurze Moment, bei dem die Arbeit ruht, die Kollegen fröhliche Gesichter machen und ein Funkeln in den Augen haben.
Ein Aufnahmeleiter ist somit nicht nur organisatorisch gefragt, sondern auch eine Art Fürsorger für das gesamte Team.
Qualität abhänig von Kommunikation und Information
In späteren Produktionen arbeitete ich besonders im Rahmen meines Studiums in kleineren Produktionsteams, wo ich in den meisten Fällen die Aufnahmeleitung alleine stemmen musste. Etwas, das je nach Vororganisation und Absprache mit allen Departements gut oder schlecht funktioniert.
Streng genommen ist die Qualität der Aufnahmeleitung von den Informationen anderer Departements abhängig. Die AL soll ein umfangreiches Wissen über den Produktionsablauf haben, dabei soll sie die Zeit im Auge haben, damit alle vorgeplanten Einstellungen im geplanten Zeitfenster umgesetzt werden können. Die AL ist Sprachrohr für alle Abteilungen. Dies funktioniert nur über einen lückenlosen Dialog miteinander. Kann eine Aufnahmeleitung eine Frage nicht beantworten, ist dies meist Anzeichen dafür, dass ein anderes Departement die nötigen Infos nicht abgegeben hat. Der Aufnahmeleitung fällt daher die Aufgabe zu, den Dialog in Gang zu halten, Infos, die fehlen, einzuholen, um sie an anderen Stellen weiterzugeben. Doch jeder Vorgang des Informationseinholens kostet Zeit und lenkt die AL von ihren eigentlichen Aufgaben ab.
Als erste Voraussetzung für eine qualitative Aufnahmeleitung sind die umfangreichen Informationen - lieber zu viel als zu wenig. Das fängt schon innerhalb der Vorproduktion an. Im besten Fall erhält die Aufnahmeleitung neben dem Drehbuch, Drehplan, Motivplan, Shotlist und Stabliste, die Möglichkeit an der Motivtour im Vorfeld teilzunehmen. Je mehr die Aufnahmeleitung weiß, wie der Hase laufen soll, um so besser kann sie am Filmset, die Crew unterstützen. Gerade Studentenproduktionen halten oft die Vorplanung klein, um kreativ beim Dreh agieren zu können. Dabei ist jedes kleine Detail wichtig, vor allem ein Szenenvorstopp erleichtert den Überblick über das Zeitmanagement.
Aus theaterpädagogischer Sicht, kann ich nur sagen, die Vorplanung ist alles - auch wenn man sie vollkommen über den Haufen wirft. Sie bietet eine Gesprächsbasis und ist der Rettungsanker für aufkommende unvorhergesehene Schwierigkeiten - wie ungenaue Wettervorhersagen, Krankheitsausfälle oder anderweitige Konflikte z.B. mit Passanten oder pöbelndem Publikum (keine Seltenheit am Filmset). Wer weiß, was an welcher Stelle auf einen zukommt, behält die Kontrolle, wenn er von seinem Kurs abweichen muss.
An dieser Stelle möchte ich eine absolute Buchempfehlung loswerden. Ein Buch, das mir meinen Einstieg und das Verständnis in die Filmproduktion unglaublich erleichtert und beflügelt hat. Es wurde mir in meinem Praktikum von der Continuity ausgeliehen und empfohlen. Ich habe es direkt gekauft und verschlungen. Auch wenn der Titel vermuten lässt, dass es ein Buch ausschließlich für das Continuity-Departement ist, kann ich es allen Filmabteilungen wärmstens empfehlen! Insbesondere allen, die bei der Vorplanung einer Produktion involviert sind.
Buchempfehlung:
Fokus und Präsenz
Kommen wir aber nun zurück zu den Aufgaben und Fähigkeiten, die eine Aufnahmeleitung meines Erachtens leisten und mitbringen sollte. Bisher habe ich vor allem darüber gesprochen, wie die Qualität der Aufnahmeleitung auch von der Zuarbeit anderer Departements abhängig ist. Aber selbstverständlich trägt auch die Aufnahmeleitung selbst Verantwortung dafür, dass sie einen guten Job macht.
Als zentral geforderte Fähigkeit ist neben der organisatorischen Kompetenz eine kommunikative Kompetenz vonnöten. Am Filmset geht es manchmal hitzig her, es ist stressig und oft arbeitet man unter einem enormen Druck. Dies verlangt auch in Konfliktsituationen eine gute Menschenkenntnis, ein empathisches Einfühlen in das menschliche Umfeld und das kontrollierte Handeln unabhängig persönlicher Emotionen.
Hierfür empfehle ich ein Fokus-Training wie in der View-Point-Methode nach Anne Bogart. Es manövriert einen im Hier und Jetzt reaktiv zu handeln und dennoch den Fokus auf das gemeinsame Ziel nicht zu verlieren.
Man fängt an, für das gemeinsame Ziel zu funktionieren. Am Filmset sollte man am besten nie etwas persönlich nehmen. Sei es ein rauer Ton oder ein blöder Spruch. Aber selbstverständlich gibt es auch hier Grenzen, die man klar und deutlich setzen und kommunizieren muss. Gerade in der #Metoo -Debatte ist die Betonung dieses Aspekts umso wichtiger!
Kommunikation ist hier ein unglaublicher Balanceakt, der, insbesondere durch das hierarchisch aufgebaute System der Departements, nur schwer ein stabiles gleichmäßiges Fundament bietet. Dieses Thema ist so umfangreich und soll in einem anderen Rahmen betrachtet werden. Meine Abschlussarbeit wird sich mit diesem Thema umfangreich auseinandersetzen und letztendlich auch in Buchform veröffentlicht werden.
Die Fähigkeit zur non- und verbalen Kommunikation ist für die Aufnahmeleitung so oder so ein wichtiger Aspekt, ob im hierarchischen oder kollektivem System. Nicht selten fällt der Aufnahmeleitung die Funktion eines Moderators oder einer Vertrauensperson zu. Eine zusätzlich belastende Aufgabe. In meiner Abschlussarbeit werde ich mich auch diesem Thema widmen und meine Empfehlung für Setpädagogen und Kindercoaches am Filmset erörtern.
Der Fokus und die Präsenz sind nicht nur Handwerk des Schauspielers. Auch der Aufnahmeleiter kann davon nur profitieren. Ich selbst stelle mich häufig am Set an eine Position, in der ich nicht im Weg stehe und dennoch so viele Departements wie nur möglich "belauschen" kann. Dabei setze ich meinen Fokus auf die einzelnen Gesprächsgruppen. Eine Methode, die sehr viel Konzentration, Präsenz und Energie kostet - aber nicht selten die fehlenden Informationen, die sich mehr und mehr wie Puzzleteile zusammen fügen, liefert. Somit erhasche ich ab und an Informationen schon bevor, sie mir überbracht werden und kann direkt auf sie reagieren. Eine alternative Möglichkeit ist das Herumlaufen von Departement zu Departement, was jedoch deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt.
Eine andere Methode ist das Eintauchen in einen peripheren Fokus. Dabei verschwimmt visuell das Bild vor Augen, dies lässt sich jedoch auch auf den Gehörsinn ausweiten, sodass man einen Geräusche- und Gesprächsteppich wahrnimmt. Während das Bewusstsein kaum ein Wort versteht, speichert das Unterbewusstsein jedoch zahlreiche Gesprächsfetzen, die es anschließend gilt aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein zu holen. Tatsächlich ist dies eine Methode, die sehr langes Training in Sachen Meditation und Konzentration braucht - wovon ich bislang nur die Anfänge beherrsche. Diese Methode erhöht jedoch die Wahrnehmungsfähigkeit und hilft Informationen wie ein Schwamm aufzusaugen und sich in die Departements genau einzuspüren.
Dies konnte ich Dank der Literatur von Anne Bogart und meiner tiergestützten Schauspielarbeit erlernen. Eine Fähigkeit, die einem nicht nur die Aufnahmeleitung, die Arbeit mit Mensch und Tier, sondern auch die Arbeit an sich selbst erleichtert.
Doch eine gute Aufnahmeleitung ist nicht abhängig von einem solchen Mentaltraining. Das wäre nun wirklich zu viel verlangt. Trotzdem gehören Umsicht, Aufmerksamkeit, Präsenz und Aktionsbereitschaft zu den erforderten Fähigkeiten einer AL, sowie Führungs- und Delegationsfähigkeiten, sollte man den Luxus haben in einem AL-Team arbeiten zu können.
Das zentrale Nervensystem
Auf Grundlage des Feedbacks meiner Crewmitglieder und Auftraggeber unterschiedlicher Produktionen habe ich es mir mal herausgenommen eine Beurteilung einer guten Aufnahmeleitung hier zu verfassen. Dabei handelt es sich jedoch um meine subjektive Wahrnehmung und Beobachtung meiner KollegInnen und meiner eigenen Arbeit, in der ich stets anstrebe, das Beste zu geben.
Bei meinem letzten aktiven Einsatz als Aufnahmeleitung erhielt ich ein sehr schmeichelndes Kompliment, dass, wie ich finde, den Posten der Aufnahmeleitung gelungen beschreibt.
"Wir sind ein Organismus, aber du [die Aufnahmeleitung] bist das zentrale Nervensystem".
Auch, wenn dieser Job Nerven kostet und man dauerhaft unter präsenter Anspannung steht, ist es jedoch beflügelnd gemeinsam mit einem Team kommunikativ zusammenzuarbeiten und am Ende das Ergebnis seiner Arbeit auf der Leinwand zu sehen.
Ich danke allen Produktionen für ihr Vertrauen in meine Arbeit als Aufnahmeleiterin und die Möglichkeit vieles in den einzelnen Produktionen gelernt zu haben. Zur Abwechslung freue ich mich aber auch im Rahmen meiner anderen geschulten Departements wie Regie und Regieassistenz, Setpädagogik, Kindercoach und als Schauspielerin an euren Produktionen teilhaben zu dürfen.
Hoffentlich sehen wir uns demnächst bei einer Produktion! Ich freue mich auf euch!
Alles Liebe,
Eure Nadine
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